Kompetenzen und Inkompetenzen zu den Zeugen Jehovas im Umfeld von Otto Schily

Unliebsame Kritiker der Organisation der Zeugen Jehovas sehen sich schon seit Jahren mit dem Rechtsanwalt und selbst Angehörigen der Gruppe, der sich selbst als Ordensgemeinschaft bezeichnenden Zeugen Jehovas, Pikl konfrontiert. Seit November des vergangenen Jahres gehört auch der Journalist Walter Egon Glöckel zu diesem besonderen Personenkreis und findet sich als Beklagter durch die Zeugen Jehovas in zwei unterschiedlichen Verfahren wieder. Der Klagsgegenstand ist für die beiden eingetragenen Vereine der Zeugen Jehovas nicht gerade eine Lappalie. Davon zeugt die Vorgangsweise, die dafür Sorge trägt, daß der Journalist der Anwaltspflicht auf Grund der Höhe des angedrohten Strafausmaßes (jeweils bis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe oder bis zu 250.000.- €) unterworfen wurde.

Anzeige des Journalisten beim Bundesinnenminister gegen die ZEUGEN JEHOVASAnzeige des Journalisten beim Bundesinnenminister gegen die ZEUGEN JEHOVAS (zur Vergrößerung Klick auf Bild)

Ebenso wurden die Klagen wohlweislich zeitgleich bei zwei unterschiedlichen Landgerichten (Koblenz AZ: 10 O 319/04 sowie Frankfurt/Main AZ: 2-06 O 304/04) eingebracht. Es geht der Organisation schlicht und einfach um die Verhinderung der Verbreitung von sie selbst betreffenden, kritischen Informationen unter dem von Glöckel betriebenen Portal zeugen-jehovas.info – sowie der Unterbindung der weiteren Verbreitung ihres geheimen Anleitungsbuches für Führungskräfte, das zahlreiche Vorgaben enthält, die nach Glöckels Auffassung, sowie auch der Meinung von Rechtsanwälten, im Widerspruch zum Grundgesetz und weiteren internationalen Bestimmungen stehen. Aus diesem Grunde, auch angesichts der Klagefreudigkeit der Zeugen Jehovas sowie der Wachtturm- Bibel und Traktatgesellschaft, entschloss sich Glöckel zu einem, für einen Journalisten, doch eher ungewöhnlichen Schritt und erstattete am 26.1.2005 beim Bundesinnenminister Otto Schily schriftlich wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz Anzeige. Genau an dem Tag, an dem in Frankfurt/Main die erste Verhandlung wegen angeblicher Verletzung des Urheberrechts durch die Veröffentlichung des „Geheimbuches“ mit dem Titel „Gebt acht auf Euch selbst und auf die ganze Herde“ abgehalten wurde, traf bei Bundesinnenminister Schily die über 190 Seiten umfassende Anzeige ein.

Die Regelung, daß der Bundesinnenminister als zuständige Stelle der richtige Adressat ist, ergibt sich aus den einschlägigen Bestimmungen des Vereinsgesetzes, da sich die Tätigkeit der beiden angezeigten Zeugen Jehovas-Vereine über das gesamte Bundesgebiet erstreckt. Diese Zuständigkeit wurde auch durch den Rechtsvertreter des Journalisten, Herrn Klaus Walkerling bestätigt.

So weit so gut … sollte man meinen – und das deutsche Bundesinnenministerium würde dann den angezeigten Sachverhalt prüfen und ein entsprechendes Verfahren einleiten. Seinen Augen traute der Journalist jedoch nicht, als er einen 3seitigen Brief des Bundesinnenministerium (Sachbearbeiterin Ruppelt) datiert mit 7. März 2005 erhielt. Dort fand sich schon im 1. Absatz folgender Wortlaut:

Faksimile aus dem Schreiben des Bundesinnenministeriums zur Anzeige gegen die Zeugen JehovasFaksimile aus dem Schreiben des Bundesinnenministeriums zur Anzeige gegen die Zeugen Jehovas (zur Vergrößerung Klick auf Bild)

Sehr geehrter Herr Glöckel, für Ihr o.g. Schreiben an Herrn Bundesinnenminister Schily, danke ich Ihnen. Bitte haben Sie Verständnis, daß der Herr Minister bei der Vielzahl der täglich für ihn eingehenden Schreiben nicht jedes persönlich beantworten kann. Er hat mich daher beauftragt, Ihnen zu antworten.

Stellt man alleine diesem Absatz die 1. Seite des als hier „Schreiben“ bezeichneten Schriftsatzes gegenüber, dann stellt sich Fassungslosigkeit ein, ist doch formaljuristisch ohne Zweifel die Art des Dokumentes ausgewiesen – Anzeige.

Für die Anzeige wurden dem Zeugen Jehovas-intern als „Ältestenbuch“ oder „Schwarzbuch“ bezeichneten Buch, das innerhalb der Organisation Gesetzesrang hat und auch als Gesetzesbuch der Zeugen Jehovas deklariert wird, als Beispiel 8 Bestimmungen entnommen, die folgende Themenbereiche umfassen:

.) Verstoß gegen Artikel 19 in Verbindung mit Artikel 20 Grundgesetz – Wahlausübung;
.) Verstoß gegen Artikel 97 in Verbindung mit Artikel 92 Grundgesetz – Rechtsprechung & Gerichtsbarkeit;
.) Verstoß gegen Artikel 2 Grundgesetz – Persönlichkeitsentfaltung;
.) Verstoß gegen Artikel 6 Grundgesetz – Ehe und Familie sowie Strafgesetzbuch bezüglich der Gewaltanwendung gegenüber Kindern;
.) Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz – Diskriminierung des weiblichen Geschlechtes;
.) Verstoß gegen Artikel 12 – Recht auf Eheschließung;
.) Verstoß gegen Artikel 9 – Religionsfreiheit und
.) Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 2 – Körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit dem Strafgesetz (Blutfrage).

All jene Punkte wurden anhand des Zeugen Jehovas-„Gesetzbuches“, weiteren Literaturtexten der Zeugen Jehovas-Publikationen, Erkenntnissen, Recherchen und Interviews in dem bestimmten Schriftsatz umfangreich dokumentiert und erläutert. Dennoch hatte die Sachbearbeiterin des Bundesministerium des Innern nichts anderes zu vermelden, als daß auf das Verfahren hinsichtlich der Anerkennung der Körperschaftsrechte der Zeugen Jehovas in Berlin hingewiesen wird. In ihrem Brief findet sich auch diesbezüglich die Abschrift einer entsprechenden Presseaussendung. Der Höhepunkt findet sich dann im letzten Absatz:

Die prozeßführende Senatsverwaltung ist dankbar für Tatsachen, die in diesem Verfahren noch vorgetragen werden können, da sie verhindern will, daß die Zeugen die Körperschaftsrechte und damit die Gleichstellung mit christlichen Kirchen, jüdischer Gemeinschaft und anderen bekommen. Ich habe mir daher erlaubt, Ihr Schreiben einschließlich aller Anlagen an die zuständige Senatsverwaltung des Landes Berlin zu senden. Anzeige kann man im übrigen nur bei den örtlichen Strafverfolgungsbehörden stellen. Diese haben ebenfalls ihren Sitz in den Ländern bzw. Kommunen.

Faksimile aus Seite 2 des Schreibens aus dem BundesinnenministeriumFaksimile aus Seite 3 des Schreibens aus dem BundesinnenministeriumFaksimile aus dem Brief des BMI

„Wo gehobelt wird fallen Späne“ sagt der Volksmund und trotz der anwaltlichen Auskunft und des Ergebnisses des Studiums des Vereinsgesetzes, daß die Anzeige beim „Bundesminister des Innern“ einzubringen ist, hätte dem Journalisten hier ein Fehler unterlaufen können. Aber jegliche nach diesem Brief vorgenommene Überprüfung auch durch die Juristen, ergab das selbe Resultat: es bleibt bei Otto Schily – als zuständiger Person im Sinne des Vereinsgesetzes. Glöckel hat mit der Sachbearbeiterin am 17.3.05 Kontakt aufgenommen und nachgefragt, wie es denn möglich sein kann, auf eine formelle schriftliche Anzeige ein derartiges Schreiben zu erhalten.

Frau Ruppelt teilte dem Journalisten mit: „Wir machen nicht die Arbeit der Strafbehörden, wir sind ja keine Strafbehörde„. Auf die Frage, wer denn dann für die Anzeige-Entgegennahme zuständig sei, folgte nur die Gegenfrage, ob denn dies nicht der eigene Anwalt beantworten könnte? Einen Schriftsatz, der als Anzeige deklariert ist zur Information an den Senat in Berlin weiterzuleiten, ist eine Groteske – stellte Glöckel in den Raum und verwies darauf, daß der Senat in Berlin mit Sicherheit kein entsprechendes Verfahren im Sinne des Anzeigeinhaltes durchführen kann. Frau Ruppelt bestätigte dies mit: „Nö, dafür nicht und die müssen Sie auch selbst stellen. Wir können ja nicht Ihre Anzeige stellen.“

Beendet wurde dieses beeindruckende Telephonat in dem sich alles scheinbar im Kreis drehte, mit dem Verweis Glöckels auf das Vereinsgesetz, die ausgewiesene Zuständigkeit des Bundesminister des Innern und, daß dies eine Anzeige und kein Brief an Otto Schily war und ist. Worauf Frau Ruppelt das Telephonat wie folgt beendete: „Wenn Sie das so verstanden haben wollen, dann würden wir Ihnen zu diesem Thema noch mal schreiben.“

Kopfschütteln und die Suche nach einer kompetenten Person im Innenministerium war jetzt geboten. Es gelang nach 5 Vermittlungsversuchen der Telephonistin doch einen Ansprechpartner im Referenten, Herrn Nietsch, zu finden, dem der bisherige Verlauf rund um die Anzeige geschildert wurde. Herr Nietsch brachte umsichtig zum Ausdruck, daß der „Bürgerservice“, von dem das Antwortschreiben abgefaßt wurde, „vielleicht nicht fachlich beschlagen“ war. Er gab weiters an, daß die Anzeige zweckmäßiger Weise an das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln geschickt werden könnte, die den Inhalt dann für das Verfahren vorbereiten würde. Glöckel wies auf dem Umstand hin, daß Formalfehler für die Anwälte der Sekte den Punkt für einen Angriff ermöglichen würden. Entsprechend des Vereinsgesetzes und der Kompetenzaufteilung steht dort ausgewiesener Maßen, der Bundesminister des Innern als Verantwortlicher. Darauf teilte Herr Nietsch mit: „Grundsätzlich zuständig ist der BMI, der macht auch die Vereinsverbote, aber fachlich sachnah vorbereiten tut´s immer das BfV (Bundesamt für Verfassungsschutz).“ Wahrscheinlich wurde das Schreiben nicht als Anzeige angesehen …

Was auch immer jetzt geschehen wird, die bisherigen Erkenntnisse zeigen nicht gerade ein rühmliches Bild der administrativen Vorgänge im Bundesinnenministerium. Fakt ist, daß eine ordnungsgemäße Anzeige bei der zuständigen Stelle eingebracht wurde, der nachzugehen ist. Fakt ist weiters, daß im Zusammenhang mit dem geheimen Gesetzbuch der Zeugen Jehovas (Gebt acht auf Euch selbst und auf die ganze Herde) und mit dessen Übergabe bereits in den 90er Jahren dem Senat in Berlin ein Exemplar vorliegt – dies ist bestätigt. Angesichts der Abläufe rund um das Verfahren um die Anerkennung der Körperschaft des öffentlichen Rechts mögen jedoch berechtigte Zweifel bestehen, ob dieses Werk jemals gänzlich von den zuständigen Personen, abgesehen von den Zeugen Jehovas, konsumiert worden ist. Vielleicht haben deren Vertreter ganz bewußt damit spekuliert, daß dieses Buch niemals als Gesamtes gelesen wird? Denn kennt man diese Inhalte auch im Zusammenhang mit Fällen aus dem realen Leben, dann hätte die Folge nur das Verbot des Vereines, dessen Auflösung, die Auflösung des Vereinsvermögens und die Aktivierung einer Vielzahl von Therapeuten und Fachleuten sein müssen. Diese werden mit Sicherheit gebraucht um den zahlreichen geblendeten und manipulierten Menschen einen Übergang in ein „normales“ Leben zu ermöglichen.

Der Staat hätte sich viel Geld und Zeitaufwand erspart und so manches tragisches Schicksal wäre vermieden worden. Aber zur Bearbeitung eines derartig komplexen Themas gehört mehr als nur Aktenberge anzuhäufen. Hier hätte es genügt, ein einziges Buch in seiner Gesamtheit zu erfassen, um in einem Streich eine Organisation zu eliminieren, deren eigenes Gesetzbuch die Aushöhlung jeglicher staatlicher und gesellschaftlicher Wertvorstellungen ist und teilweise auch mit Blut bezahlte Errungenschaften, wie die Demokratie, zum Eigenzweck ausschaltet.

Kompetenz ist gefordert aber augenscheinlich nicht immer vorhanden …

Filmproduktionen und Videoproduktionen - Informationsagentur.com e.U.

2005-03-23

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