Estland und das falsche Logo der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

Seit dem 1. Jänner 2006 hat die Republik Österreich den im halbjährlichen Rhythmus wechselnden Ratsvorsitz innerhalb der Europäischen Union inne. Vieles wird zu und um diesen Ratsvorsitz medial berichtet. Wir widmen uns jedoch denjenigen Inhalten, die in Zusammenhang mit diesem Ereignis stehen, aber weniger oder gar nicht auf der medialen Bildfläche erscheinen. In diesem Beitrag geht es einleitend um das Logo, das scheinbar als Corporate Identity, Kurzform „CI“, der Republik Österreich zu deren Ratspräsidentschaft geschaffen wurde, den von Bundeskanzler Wolfgang SCHÜSSEL und Kommissionspräsidenten José Manuel BARROSO deklarierten Kerninhalten und der medialen Verbreitung zum Arbeitstreffen der Österreichischen Bundesregierung und der Europäischen Kommission.

Das offizielle Logo der österreichischen EU Ratspräsidentschaft

Das offizielle Logo der österreichischen EU Ratspräsidentschaft

Es ist schick, wenn man sein eigenes Logo zur EU-Ratspräsidentschaft präsentiert. Laut offizieller Website wurde dieses vom niederländischen Designer Rem KOOLHAAS entworfen. Die Idee, die dahintersteckt, ist die Fahnen der Mitgliedsstaaten in einem „Strichcode“ – „Barcode“ aufzulösen und aneinanderzureihen. Dem Grunde nach eine innovative Idee und so auch umgesetzt. Wo auch immer Veranstaltungen abgehalten werden, überall wird es präsentiert und seit dem 1. Jänner tragen auch die unterschiedlichsten Repräsentanten, Vertretungsorgane und Mitglieder der Österreichischen Bundesregierung den entsprechenden Pin auf ihrer Kleidung. Unsummen wurden für verschiedenste Merchandising-Artikel  ausgegeben, die von Fahnen, Armbändern über Schreibblocks bis hin zu Krawatten, mit denen sich die hohen Herren kleiden, reichen. Wenn da nicht der Umstand eines gravierenden Fehlers in dem Logo wäre. Kurz als „kleiner Fehler“ bezeichnet kam in einem Bericht einer österreichischen Tageszeitung darüber eine Meldung. Die Farben des EU-Mitgliedsstaates Estland waren vertauscht worden. Auf dem Logo wurden sie in der Farbfolge schwarz – blau – weiß, anstelle blau – schwarz – weiß abgebildet. Ein kleiner Fehler nur? Estland ist zwar ein kleines Land, ein neues EU-Mitgliedsland seit dem 1. Mai 2004, das bei der Volkszählung 1/2005 1.347.510 Einwohner hatte.

Beispiele der Artikel mit dem Logo der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

Beispiele der Artikel mit dem Logo der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft

Das Logo mit unseren Markierungen der Flaggen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

Das Logo mit unseren Markierungen der Flaggen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union

Die aus dem offiziellen Logo entnommenen Flaggen mit Aufteilung und Zuordnung

Die aus dem offiziellen Logo entnommenen Flaggen mit Aufteilung und Zuordnung

Wie wir überhaupt auf diesen Umstand aufmerksam geworden sind? – zeigt wie unbedeutend  die falsche Darstellung der Estischen Nationalflagge ist. Bei einem Empfang in der Hofburg, dem Sitz des Österreichischen Bundespräsidenten unterhielten sich Journalisten amüsiert über diesen Fehler im Logo und unser Vertreter hörte nur zu. Der Lächerlichkeit preisgegeben und jetzt stellen Sie sich einmal die Frage, wie Sie als Bürger beispielsweise von Deutschland oder Österreich im umgekehrten Fall reagiert hätten. Undenkbar, ein Skandal ohne Ende, die Tagespresse hätte es ausgeschlachtet, aber viel wahrscheinlicher, die Artikel wären entsorgt worden und neu produziert. Aber Estland ist weit weg und was sich die Bürger, die EU-Bürger, denken, wie sie sich behandelt fühlen, wenn nicht einmal ihre Nationalflagge richtig dargestellt wird? Wen kümmert es, Hauptsache unsere Farbreihenfolge stimmt. Ja, genau so ist es, das Hemd ist näher als die Hose.

Ratspräsident Wolfgang Schüssel und Kommissionspräsident Josè Menuel Barroso bei der Pressekonferenz zum Arbeitstreffen der österreichischen Bundesregierung mit der Europäischen Kommission

Ratspräsident Wolfgang Schüssel und Kommissionspräsident Josè Menuel Barroso bei der Pressekonferenz zum Arbeitstreffen der österreichischen Bundesregierung mit der Europäischen Kommission

EU-Kommissionspräsident BARROSO gratulierte Bundeskanzler SCHÜSSEL vor versammelter Weltpresse noch zu dem Logo und bereits da grinsten „Wissende“ vor sich hin. Wer nun Schuld an dem Fehler hat ist zweitrangig. Erstrangig hätte, wer auch immer, das Logo auf seine Richtigkeit kontrollieren müssen. Der Spruch „Wo gehobelt wird, fallen Späne“ ist in diesem Fall unzulässig. Aber vielleicht der ganze Vorgang ein Sinnbild für die Verwaltung der Gemeinschaft – viele, sehr viele Leute, zu unübersichtlich, was die eine Seite macht, davon hat die andere keine Ahnung. Viele entscheiden, keiner trägt Verantwortung. Ob ein Vertreter der Republik bei einem Treffen mit der estischen Botschafterin Katrin SAARSALU-LAYACHI den Pin zuvor entfernen würde? Wir ersuchten die Botschafterin um eine Stellungnahme, die jedoch bis Redaktionsschluß noch nicht vorlag.

W. Schüssel mit "Logo-Krawatte" in der o.a. Pressekonferenz

W. Schüssel mit "Logo-Krawatte" in der o.a. Pressekonferenz

Blitzumfrage in Deutschland und Österreich

Bei einer von uns durchgeführten Blitzumfrage in Deutschland und Österreich stellten wir folgende Frage:

Wie würden Sie reagieren, wenn ein offizielles Logo zur/von der Europäischen Union präsentiert werden würde, das die Fahnen aller Mitgliedsstaaten beinhaltet und die Farbreihung von Deutschland/Österreich darin falsch vorgenommen ist?

Antwortmöglichkeiten:
A) Wäre es Ihnen egal?
B) Würden Sie sich darüber aufregen? oder
C) Soetwas kann nicht passieren

Das Ergebnis der deutschen Bürger:

71 % würde sich darüber aufregen und
29 % halten es für gar nicht möglich.

Das Ergebnis der österreichischen Bürger:

67 % wählten auch in diesem Land B und ein noch größerer Anteil als in Deutschland mit
33 % ist der Meinung, daß das gar nicht passieren kann. Egal wäre es jedoch keinem.

In der besagten Pressekonferenz deklarierte Bundeskanzler W. SCHÜSSEL  die Themenschwerpunkte und Arbeitsinhalte Österreichs während des Ratsvorsitzes. Wachstum und Beschäftigung, Förderung der Klein- und Mittelbetriebe und auch um die Forschung wolle man sich kümmern. Auch J. M. BARROSO

Es geht um Wachstum und Beschäftigung
(aus der Simultanübersetzung).

Natürlich waren dies nicht alle angeführten Punkte, doch die erstgenannten. Betrachtet man die Entwicklung der Beschäftigungslosigkeit und vor allem den Personalabbau im öffentlichen Dienst, der in den vergangenen Jahren sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in Österreich vorgenommen wird, greift man sich auf den Kopf. Immer wieder die gleiche Leier: Politiker sprechen von der Schaffung von Arbeitsplätzen und das, obwohl im öffentlichen Dienst Stellen abgebaut oder nicht mehr nachbesetzt werden. Das gleiche Vokabular auch bestens bekannt von Angela MERKEL und Edmund STOIBER, fast jedem Politiker.

Bundesministerin (Justiz) Karin Gastinger mit Pin bei der PK zum informellen Treffen der Justiz- und Innenminister

Bundesministerin (Justiz) Karin Gastinger mit Pin bei der PK zum informellen Treffen der Justiz- und Innenminister

Faktum: Politiker schaffen keine Arbeitsplätze, sondern sorgen seit Jahren dafür, daß sie in ihren Bereichen (öffentlicher Dienst) abgebaut werden. Politiker sollten Rahmenbedingungen schaffen, die es Betrieben ermöglichen, mehr Personal einzustellen. Aber große Betriebe wie beispielsweise MERCEDES-BENZ bauen zu Tausenden Personal ab, damit die Aktienkurse und folglich die Dividenden steigen können.

Was jedoch wünschenswert wäre und an erster Stelle bei einer Ratspräsidentschaft stehen sollte, ist das Bestreben Akzeptanz, Verständnis und Verbundenheit bei den Bürgern der EU-Mitgliedsstaaten zu entwickeln. Nur wenn die Menschen der Länder sich dem Leitgedanken, der vordergründig die menschliche Gemeinschaft beinhaltet, anschließen, kann das wahre Ziel erreicht werden. Die Wirtschaftsmagnaten sind schon längstens untereinander im Einklang und Profiteure der Europäischen Union, ohne jedoch auf die Bürger in dem Maß zu achten, das ihnen gebührt und Profitstreben wird zusätzlich auf deren Rücken ausgetragen.

Bundesminister (Umwelt) Josef Pröll mit "Logo-Krawatte" und Pin bei der Unterzeichnung der Alpenkovention

Bundesminister (Umwelt) Josef Pröll mit "Logo-Krawatte" und Pin bei der Unterzeichnung der Alpenkovention

Bemerkenswert waren auch die von uns verfolgten Medienberichte über die Pressekonferenz zum Arbeitstreffen der österreichischen Bundesregierung mit der Europäischen Kommission. Da wurden Statements von SCHÜSSEL und BARROSO zu Themen wie der EU-Verfassung, der Dienstleistungsrichtline oder dem Iran-Konflikt gebracht. Alles sehr wichtige und bedeutende Themen, aber kein einziges von uns beobachtetes Medium brachte den Hinweis, daß diese Punkte überhaupt nur durch Anfragen der anwesenden Pressevertreter angesprochen wurden. SCHÜSSEL und anwesende Akteure verloren von sich aus darüber kein Wort. Wer jetzt meinen würde, die Politiker hätten ja eh gewußt, daß die Fragen kommen würden und deshalb nicht selbst das Wort zum jeweiligen Thema ergriffen, der irrt. Inszenierung ist angesagt und das Bühnenbild mit seinen zahlreichen falschen Logos, das passende Ambiente.

072605


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