CHAOS-TAGE 2002 in München

Seit Monaten tauchten sporadisch in den Medien die Schlagwörter CHAOS-TAGE in Verbindung mit der Landeshauptstadt München auf. Berüchtigt durch Zerstörung und Gewalt demolierten aggressive Chaoten in verschiedenen Städten in Deutschland in Jahresabständen fremdes Eigentum. In Verbindung mit diesen nunmehr fast schon geschichtsträchtig anmutenden Tagen steht die Anhängerschaft der Subkultur der PUNKS. Wer und wie auch immer München als Austragungsort für die diesjährige Veranstaltung auserkoren wurde und somit zum Mittelpunkt vielerlei Interessen machte, bleibt spekulativ.

Provokation über alles unter anderen vom "Meister des Chaos"

Provokation über alles unter anderen vom "Meister des Chaos"

Ob es nun tatsächlich alleinig PUNKS oder Menschen waren, die sich diesen Deckmantel umhängten, um ihrer Wut und Unzufriedenheit über die herrschenden Gesellschaftsstrukturen Luft zu machen oder einfach nur Spass an der Zerstörung haben, bleibt wohl ungeklärt.

Punker

nur wenige richtige Punker drangen bis in das Stadtzenrum vor, dies waren die Angehörigen einer Gruppe von etwa 25 Personen, die in Polizeigewahrsam genommen wurden

Eines jedoch ist zweifelsfrei, dass sich auch Menschen, die sich dieser Szene zugehörig fühlen, von derlei „Veranstaltungen“ klar distanzieren, gar selbst einen „Promotor“ der Chaos-Tage, der sich mit eigener Homepage darstellt, als lächerlich einstufen. Den Postings der Newsgroup der deutschen Punker-Szene zu entnehmen, wird sinngemäss von einer Verarschung durch den selbsternannten „Meister des Chaos“ gesprochen. Dennoch ist es Menschen wie ihm gelungen mit markigen Sprüchen wie: „So wird München nach den kommenden Tagen eine andere Stadt sein“ oder „Niemand weiss, was dagegen zu machen ist“ (Anm. im Hinblick auf die Chaos-Tage) Hundertschaften der Polizei zu aktivieren. Geschäftsleute verbarrikadierten ihre Läden und Sicherheitsfirmen konnten sich über Umsatzzuwächse freuen.

Straßensperre der Polizei

Sonntag, 4.8.: umfassende Kontrollen im peripheren Bereichen filtern potentielle Chaoten

Die Punks sind eine Szenerie, die sich beim ersten Konzert der Sex Pistols am 6. Dezember 1975 in London gebildet hat. Dieser Gig wurde zu einem legendären Auftritt, der nur wenige Minuten andauerte. Die Besucher rechneten mit einem Rock-Konzert, statt dessen waren wilder Instrumentenlärm und exzessive Beschimpfungen zu vernehmen. Der Strom wurde abgeschaltet. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Szene über ganz England und Bands bildeten sich allerorts. Mit dem Slogan „NO FUTURE“ bildete sich die Subkultur der Punks – Ihr Aussehen, das Auftreten provokant, eben entgegengesetzt den gesellschaftlichen „Spielregeln“. Eine depressive Grundeinstellung prägt ihr Verhalten gegenüber Andersdenkenden. Ob sie nun im Alltagsgeschehen zugedröhnt mit brennender Zigarette in die U-Bahn steigen oder Abgründen von Zerstörung freien Lauf lassen –  Schwerpunkt der Inhalte sind Musik und ein Leben unter ihresgleichen in zügelschwachen, selbst gebildeten gesellschaftlichen Strukturen. Die Brisanz angesichts Dortmund 2001 oder Hannover 1995, wo nicht gerade werbewirksame Bilder für Politiker und Behörden durch die Medien gingen, setzte die Toleranzschwelle auch im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl gleich auf „minus 0“. Das Kreisverwaltungsreferat München erliess eine sogenannte Allgemeinverfügung. Ganz bewusst stufte man die Teilnehmer der Veranstaltung nicht als Demonstranten ein, die dem Versammlungsrecht zuzuordnen wären, da die politischen Aussagen angesichts der beabsichtigten Vornahme von Chaos fehlten, hiess es in der Begründung. Die Verfügung gegen die Bedrohung der Chaoten, Punks, wurde nicht auf bestimmte Personen abgestimmt, sondern in Bezug auf Handlungen umschrieben, wie es der Aussendung der Polizei München zu entnehmen ist.

Chaostage München

unscheinbar wirkende Jugendliche im Netz des Sicherheitsapparates

Mißbrauch einer Ideologie

Ein Punker-Szene-Angehöriger - Homepagetext: Die Chaos-Tage sind kein friedlich geplantes party-mässiges Treffen mehr, sondern sind zu einem politischen Treffen verkommen, das von vielen als Grund angesehen wird, Krawall zu machen :-( (deshalb kein Interesse mehr an diesem Thema meinerseits)

Wenn man geschriebene Vorgaben und Exekution betrachtet, so ergibt/ergab sich jedoch eine Diskrepanz. Auszug aus der Verfügung:

In der Zeit vom 2.8.02, 00.00 Uhr bis einschliesslich 4.8.02, 24.00 Uhr werden für das Gebiet der Landeshauptstadt München alle Aktionen einzelner Personen bzw. Personengruppen, die zur Vorbereitung, zur Durchführung oder als Bestandteile der sogenannten Chaos-Tage geplant oder diesen zuzurechnen sind, verboten.

Trittbrettfahrer

Outfit & Utensilien eines jugendlich, provozierend wirkenden Trittbrettfahrers

Derlei Handlungen werden beispielhaft angeführt:

Beschimpfen, Anpöbeln, Beleidigen, Anspucken, Beschmutzen und Bedrohen von Passanten usw.; feindseliges Zusammenrotten potentieller Störer.

Möchtegern-Punk

jugendlicher Möchtegernpunk

Es wird der Polizei ein präventives Vorgehen wie auch die Zufahrtskontrolle bereits im Vorfeld von München ermöglicht. Kernaussage des Bescheides:

… Potentielle Störer, das heisst Personen bzw. Personengruppen, bei denen es konkrete Anhaltspunkte für die beabsichtigte Mitwirkung an den in Ziffer 1 des Bescheidtenors genannten Aktionen gibt oder Personen bzw. Personengruppen, die durch ihr Aussehen oder Auftreten und Verhalten Anlass zu dieser Vermutung geben und nicht glaubhaft machen können, dass sie zu anderen als den in Ziffer 1 des Bescheidtenors aufgeführten Zwecken anreisen wollen, können demnach von der Landeshauptstadt München fern gehalten werden …

Dies war die Rechtsgrundlage für den Platzverweis.

unnötige Personenkontrollen empörten Bürger

Personenkontrollen von Jugendlichen ohne scheinbare Gefährdungsattribute lockten nicht nur unbeteiligte Passanten, sondern riefen auch deren Unmutsäusserungen hervor

In der Praxis war es doch nicht wirklich erheblich, ob Menschen, vor allem diejenigen zwischen 15 und 30 Jahre, von ihrem Aussehen nach der Szene der Punks zuzuordnen waren. Zahlreiche Gruppen unterschiedlichster Personenanzahl (ab 2 Personen) oder auch Einzelpersonen wurden unter die Lupe genommen; es genügten Rasta-Zöpfe, um einer peinlichst genauen Kontrolle unterzogen zu werden. Bei den ausgesprochenen Platzverweisen, die mit der Aufforderung die Stadt zu verlassen verbunden waren, kam es jedoch auch zu wahrlich skurillen Vorkommnissen. So fand sich laut einer Quelle innerhalb des Exekutivkörpers eine Person in der Sammelstelle der Polizei wieder, weil sie von der Erstkontrolle bis zum Verlassen der Stadt hintereinander mehrmals kontrolliert wurde und somit nicht einmal die Chance hatte, das Stadtgebiet tatsächlich zu verlassen. Und wie sich bei allen grösseren Polizeieinsätzen zeigt, gibt es immer wieder Beamte, die den Ton angeben, um dem neagtiven Image gerecht zu werden. Das Resultat gibt der Methode allerdings im Grossen und Ganzen Recht. Im Zeitraum vom 1.8. bis 4.8 wurden im Zuge der Präventionsmassnahme 1036 Platzverweise erteilt, 1836 Personenkontrollen und 124 Gewahrsamnahmen vorgenommen und 9 Personen arrestiert. Es kam zu keinerlei Ausschreitungen und Vandalismus. Somit haben die Behörden eine bemerkenswerte Leistung erbracht: Der Bergriff „CHAOS-TAGE“ wird nach München neu zu definieren sein und egal wie sie sich in der Zukunft darstellen mögen, in München zählten sie zu den sichersten, die die Stadt je hatte.

Sensationsgeilheit

Medienvertreter warteten vergebens auf spektakuläre Bilder von den Chaos-Tagen

SCHRÖDER kann nicht mit ausgestrecktem Zeigefinger auf STOIBER und seine versagenden Beamten zeigen, STOIBER – gegen dessen Politik sich auch die Chaos-Tage inhaltlich gerichtet haben – kann beruhigt auf seinen funktionierenden Sicherheitsapparat verweisen, Innenminister BECKSTEIN seine Beamten loben und die Punks mit ihrem Lebensmotto „NO FUTURE“, für die interessiert sich sowieso niemand …, oder?

030608


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